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Donnerstag, 4. März 2004
Sieger und Verlierer. Von London nach München im Jahre 1949.
"Die Stadt machte einen denkbar deprimierenden Eindruck, gekennzeichnet von ungeheurer Lethargie, es wurde recht wenig Wiederaufbauarbeit geleistet. Eines meiner peinlichsten Erlebnisse, - es war wieder auf einem Flughafen beim Abflug nach dem Kontinent - waren die feisten, vollgefressenen, laut und hemmungslos deutschsprechenden Geschäftsleute. Ich hörte damals, daß Deutsche ihren englischen Freunden Lebensmittelpakete schickten (vergiß nicht, es war 1949)! Da dachte ich mir, einmal stehe ich nun auf der Seite der Sieger, wo ich mich doch sonst viel wohler auf der Seite der Verlierer fühle, und da nützt es mir auch nichts; da hat sich das Blatt schon wieder gewendet! Ich flog von London nach Italien und fuhr von dort mit der Bahn über Österreich nach Deutschland. Als ich in meinem Schlafwagen morgens aufwachte, sah ich in Innsbruck zum ersten Mal österreichische Bombenruinen. Ich gebe heute offen zu, daß ich damals ans Fenster des Schlafwagens getreten bin, mir die Hände rieb und laut zu den Umstehenden sagte "Nicht genug, nicht genug". Über mich brach plötzlich die ganze Erregung, die ganze Wut, die ganze Trauer herein über das Entsetzliche, das von Hitler angerichtet worden ist. In München holte mich ein alter Bekannter vom Bahnhof ab. Der schlug mir vor, doch sofort vom Zug mit auf das Oktoberfest zu kommen, worin ich halb aus Höflichkeit und halb aus Melancholie einwilligte. Dort angelang hätte ich beinahe wieder kehrtgemacht und wäre nach Amerika zurückgeflogen. Die ganze Scheiße fing wieder an. Da waren diese lauten, feisten Saufbrüder in den Riesenzelten, dröhnend, trinkend, Würste essend und Seidel schwingend, die Bum-Bum-Musik ertönte, es war grauenvoll. "

Leo Löwenthal: Mitmachen wollte ich nie. Ein autobiographisches Gespräch mit Helmut Dubiel, Frankfurt: edition Suhrkamp 1980, S. 138f.

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