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Samstag, 6. März 2004
Deutsche Tiefe und amerikanische Öberflächlichkeit.
Normalerweise fliehe ich solche Gespräche, versuche mich zu verdrücken oder den Schwerpunkt des Themas dezent in eine andere Richtung zu verschieben. Das erste Halbjahr des Jahres 2003 hat für eine solche Überdosis an Gesprächen über die USA und die "Bush-Administration" gesorgt, dass ich versuche, jedes Gespräch mit Michael Moore-Lesern (und das sind ja quasi alle!) über ihr Lieblingsthema zu vermeiden. Dieses Gespräch aber schien zu Beginn noch unverfänglich zu sein. Ein Gespräch über weite amerikanische Landschaften und große amerikanische Städte, über Highways und den Grand Canyon etc. pp. All diese offensichtliche USA-Faszination, die so häufig mit steifem Antiamerikanismus einhergeht. Da es bei der Faszination zu bleiben schien, machte ich keine Bemühungen, zum Beispiel über das (immer noch und erstaunlicherweise) so kalte Wetter und den frisch gefallenen Schnee zu reden, sondern hörte weiter zu, streute hier mal etwas über die Niagarafälle und dort mal eine Plattitüde über das ewig verregnete und sicherlich deswegen zur Grunge-Hauptstadt gewordene Seattle ein.
Mein Gegenüber berichtete von Austin, Texas. Dort habe er einen Freund, einen Lehramtsstudenten, der für ein Jahr ein Auslandssemester in Deutschland gemacht hatte. Ein junger, aufgeschlossener und weltgewandter US-Amerikaner. Denn wie man wissen müsse, sei Austin keineswegs das texanische Kuhjungendorf, als das es sich die Deutschen gerne vorstellen, sondern habe eine der agilsten Musikszenen der Welt. Dieser Freund habe, nachdem er sein Studium in den USA abgeschlossen hatte, entschieden, ein zweimonatiges Praktikum in einem hessischen Gymnasium zu machen. Es ist offenbar selten, dass US-Amerikaner Gymnasialpraktika in Deutschland machen. Für seinen Freund habe sich jedenfalls die Redaktion der hesssischen Regionalsendung von SAT.1 interessiert. Statt sich für die tatsächlichen Verhätnisse in der Schule oder für seine Erlebnisse in Deutschland zu interessieren, wollte das Fernsehteam knackige Bilder produzieren. Dafür habe es dem Praktikanten vorgeschlagen, in ein Cowboy-Kostüm zu schlüpfen und mit einem Lasso herumzuwedeln. Dieser habe sich verständlicherweise geziert, jedoch schließlich eingewilligt. Am Abend des Drehtages sei er völlig geknickt nach Hause gekommen, habe sogar etwas geweint.
Keine schöne Geschichte. Bevor ich mir jedoch weiter Gedanken über die Ressentimentgeladenheit des Fernsehteams machen konnte, lieferte mir mein Gegenüber die ultimative Interpretation der Ereignisse: "Es ist doch wirklich schlimm, dass diese amerikanische Oberflächlichkeit jetzt auch hier in Deustchland angekommen ist!"

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Donnerstag, 4. März 2004
Sieger und Verlierer. Von London nach München im Jahre 1949.
"Die Stadt machte einen denkbar deprimierenden Eindruck, gekennzeichnet von ungeheurer Lethargie, es wurde recht wenig Wiederaufbauarbeit geleistet. Eines meiner peinlichsten Erlebnisse, - es war wieder auf einem Flughafen beim Abflug nach dem Kontinent - waren die feisten, vollgefressenen, laut und hemmungslos deutschsprechenden Geschäftsleute. Ich hörte damals, daß Deutsche ihren englischen Freunden Lebensmittelpakete schickten (vergiß nicht, es war 1949)! Da dachte ich mir, einmal stehe ich nun auf der Seite der Sieger, wo ich mich doch sonst viel wohler auf der Seite der Verlierer fühle, und da nützt es mir auch nichts; da hat sich das Blatt schon wieder gewendet! Ich flog von London nach Italien und fuhr von dort mit der Bahn über Österreich nach Deutschland. Als ich in meinem Schlafwagen morgens aufwachte, sah ich in Innsbruck zum ersten Mal österreichische Bombenruinen. Ich gebe heute offen zu, daß ich damals ans Fenster des Schlafwagens getreten bin, mir die Hände rieb und laut zu den Umstehenden sagte "Nicht genug, nicht genug". Über mich brach plötzlich die ganze Erregung, die ganze Wut, die ganze Trauer herein über das Entsetzliche, das von Hitler angerichtet worden ist. In München holte mich ein alter Bekannter vom Bahnhof ab. Der schlug mir vor, doch sofort vom Zug mit auf das Oktoberfest zu kommen, worin ich halb aus Höflichkeit und halb aus Melancholie einwilligte. Dort angelang hätte ich beinahe wieder kehrtgemacht und wäre nach Amerika zurückgeflogen. Die ganze Scheiße fing wieder an. Da waren diese lauten, feisten Saufbrüder in den Riesenzelten, dröhnend, trinkend, Würste essend und Seidel schwingend, die Bum-Bum-Musik ertönte, es war grauenvoll. "

Leo Löwenthal: Mitmachen wollte ich nie. Ein autobiographisches Gespräch mit Helmut Dubiel, Frankfurt: edition Suhrkamp 1980, S. 138f.

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Mittwoch, 3. März 2004
Nachtrag zum Karnevalswahnsinn.
Kein "Helau" - da gab's Hiebe
Ein junger Mann wollte nicht "Helau" schreien - da setzte es Hiebe: In der Nacht zum Freitag ist ein 26-Jähriger von zwei Männern in der Holzhofstraße verprügelt worden. Zu dem Streit kam es vor einer Kneipe, in der sich sowohl das Opfer als auch die beiden Schläger zuvor aufgehalten hatten. Die beiden Täter, etwa 25 Jahre alt, befahlen dem 26-Jährigen, laut "Helau" zu rufen. Als dieser sich weigerte, schlugen die beiden ihn nieder und traten mehrmals auf ihn ein, als er schon am Boden lag. Dann flüchteten die als Zimmermänner verkleideten Schläger in Richtung Rheinstraße. (...)

Mainzer Allgemeine, 21. Februar 2004

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