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Freitag, 9. Juli 2004
" ...unter größter Eilbedürftigkeit mit geringen personellen und sachlichen Mitteln..."
Wie sich deutsche Richter in die Nöte ihrer Väter und Großväter einfühlen.

Kontraste von gestern:

Dr. Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum:
"Wir haben wirklich wenig Zeit, um die letzten Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen, wegen des Alters, der Gebrechlichkeit. Das ist wirklich die letzte Möglichkeit diese schrecklichen Verbrecher vor Gericht zu bringen."

Doch selbst wenn Zuroff die Männer ausfindig machen kann, ist fraglich, ob sie in Deutschland noch verurteilt werden können.

Hier, in Leipzig, hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung von Nazi-Kriegsverbechern vor zwei Wochen fast unmöglich gemacht.

Der fünfte Strafsenat hob nämlich das Urteil gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel auf.

Der sogenannte "Todesengel von Genua" wurde vom Hamburger Landgericht wegen der grausamen Ermordung von 59 italienischen Zivilisten zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hob jetzt dieses Urteil auf. Begründung:

Prof. Wolfgang Krüger, Bundesgerichtshof:
"Weil es an den subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Grausamkeit gefehlt hat."

Engel, so der Bundesgerichthof, sei kein Mörder, weil ihm keine grausamen Absichten nachgewiesen werden konnten. 1944 war Engel SS- und Polizeichef im besetzten Genua.

Hier in der Nähe von Genua wurden auf seinen Befehl die 59 Zivilisten erschossen - als Vergeltung für den Anschlag auf ein deutsches Soldatenkino.

Der italienische Militärstaatsanwalt Rivello hat Engel dafür bereits 1999 den Prozeß gemacht. Und zwar nicht wegen der Erschiessung, sondern wegen der besonderen Grausamkeit der Tat.

Pier Paolo Rivello, Militärstaatsanwalt (Archiv):
"Die Opfer kamen in kleinen Gruppen zum Erschiessungsort. Dort mußten sie auf einem Balken über einen Graben steigen, den jüdische Häftlinge ausgehoben hatten. In dem Graben sahen sie die bereits erschossenen Personen. Doch damit der Grausamkeiten nicht genug. Eine Gruppe von Offizieren aß und trank fröhlich mit Blick auf die Erschiessungen."

Doch allein die Grausamkeit der Tat reichte dem Bundesgerichtshof für die Verurteilung wegen Mordes nicht aus. Es sei durchaus nicht bewiesen, dass der Täter Engel den Ablauf der Erschiessungen mit grausamer Absicht geplant habe.

Prof. Wolfgang Krüger, Bundesgerichtshof:
"Der Bundesgerichtshof hat dem entgegen gehalten, dass die Sache unter größter Eilbedürftigkeit mit geringen personellen und sachlichen Mitteln durchgeführt werden mußte, und dass auch vermieden werden mußte, jedenfalls aus der Sicht desjenigen, der das durchzuführen hatte, dass diese Erschießungen in der Stadt Aufsehen erregten und möglicherweise zu Demonstrationen oder zu Aufruhr geführt hätten."

Eine Argumentation, die der Berliner Strafrechtler Felix Herzog empörend findet.

Prof. Felix Herzog, Strafrechtler, Humboldt-Universität:
"Dieses Argument hat mich auch sehr erschreckt. Das Argument lautet ja, es mußte schnell geschehen, es mußte heimlich geschehen, und es gab am Tatort Personalmangel. Wenn sie wollen, können eine ganze Reihe von Massenvernichtungsaktionen des NS-Regimes unter solchen Gesichtspunkten dann als möglicherweise subjektiv nicht grausam angesehen werden, weil halt die Betreffenden unter entsprechend, ich sage das mal so, das hört sich furchtbar an, schwierigen Rahmenbedingungen handeln mußten."

Egal, wie grausam die Erschiessungen waren, die Täter können ungestraft davonkommen.

Prof. Felix Herzog, Strafrechtler, Humboldt-Universität:
"Wenn man diese Linie weiter verfolgt, kommt man wirklich zu unmöglichen Ergebnissen. Man kommt hin bis hin zu dem Ergebnis, dass bestimmte Massenvernichtungsaktionen gegenüber den Juden möglicherweise keine subjektiv grausamen Taten gewesen sind, weil einfach die Betroffenen situativ gar nicht anders vorgehen konnten."

Dr. Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum:
"Es ist wirklich fraglich, ob es in Deutschland jetzt noch möglich ist, Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen. Denn wenn die Ermordung von 59 Zivilisten kein Zeichen von Grausamkeit ist, dann weiß ich nicht, was sonst ein Zeichen für Grausamkeit sein soll."

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Donnerstag, 8. Juli 2004
Und Michael Mittermeier lebt.
Auch Chlodwig Poth ist gestorben. Die Titanic-Redaktion trauert also um ihre zwei wichtigsten Zeichner , um Titanic-Mitbegründer Chlodwig Poth, den Schöpfer des großartigen und für eine jede Titanic-Ausgabe unverzichtbaren "Last Exit Sossenheim" und um Bernd Pfarr, dessen "Sondermann" einfach unersetzlich ist. Wir trauern mit ihr.

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Donnerstag, 8. Juli 2004
Bernd Pfarr ist tot? Bernd Pfarr ist tot!
Gerade erst via gruppe manuela erfahren. Scheisse...

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Kunst.
Was man nicht alles beim Lesen der Zeitschrift der DB "Mobil" (was sich ansonsten nur lohnt, wenn man die mitgebrachte Lektüre gelesen hat und sonst nichts mehr dabei hat) findet.

Ausgabe Juli 2004 wartet zum Beispiel mit einem unsäglichen Artikel über die "Lügen des Weißen Hauses" von Hans Leyendecker und gleich noch einem Interview mit eben diesem auf. Wir erinnern uns: es handelt sich bei "Mobil" um das Kundenmagazin der Deutschen Bahn AG, das sich ansonsten auch ganz wie ein Kundenmagazin verhält und sich weitgehend (nicht verkehrs-) politischer Stellungnahmen enthält. Ein Kommentar erübrigt sich.

Man kann aber auch solche Bilder finden:



Es handelt sich dabei um einen Entwurf des Berliner Künstlerduos mit dem einfallsreichen Namen "Urban Art". Aufgestellt werden soll die "künstliche Ebene" während eines Kunstprojektes in der Alten Festung Kostrzyn in Polen. Das Projekt heisst "Dialog Loci" und soll "einen Beitrag leisten, sich den faktischen Gegebenheiten des Ortes geistig und sinnlich zu nähern." und "mit den Mitteln der Kunst gedankliche Anregungen geben", sowie "versuchen, die Dimension dieses besonderen 'genius loci' auszuloten." Der genius loci der Festung in Kostrzyn besteht offensichtlich darin, dass sie über die Jahre sowohl von Deutschen als auch von Polen oder denjenigen, die die Historiographie nachträglich zu Deutschen oder Polen macht, genutzt wurde. Für Kulturmanager -oder wie auch immer man das nennt - ist das genug genius, um am locus ein Kunstprojekt, das sich irgendwie mit den deutsch-polnischen Beziehungen beschäftigt, anzusiedeln. Genaueres erfährt man auf der Website des Projektes nicht. Auch in der Beschreibung ihres Teilprojektes bleiben "Urban Art" eher unkonkret.:

"Im Laufe der Ausstellungszeit wechseln sich verschiedene landwirtschaftliche Szenen ab, die auf der Ebene dargestellt werden. Es handelt sich dabei um möglichst gewöhnliche, unspektakuläre Momente, z.B. eine wiederkäuende Kuh, einen Mist-, Heu- oder Strohhaufen, oder eine Viehtränke. Von Zeit zu Zeit wird man auch einen Bauer sehen, der die Kuh zum Weiden bringt oder den Haufen von einer Stelle zur anderen gabelt. Im Hintergrund leuchtet blassblau ein Neonschriftzug mit dem Wort 'Morgenthau'. Die altertümliche Schreibweise verstärkt den romantisch-friedlichen Eindruck. Henry M. Jr. Morgenthau war von 1934-45 amerikanischer Finanzminister und enger Berater Roosevelts. Er entwarf den sog. Morgenthau- Plan, demzufolge Deutschland aufgeteilt, entmilitarisiert, de-industrialisiert und auf den Status eines Agrarlandes reduziert werden sollte. "

Aha.

Meine Interpretation liegt wahrscheinlich meilenweit von der der Künstler, von der der Ausstellungsmacher, von der der fördernden "Kulturstiftung des Bundes" und der der durchschnittlichen Besucherin entfernt:

Wie es hätte sein können. Und wie es leider nicht ist.

(Ein bisschen Verbalradikalismus wird angesichts der Tatsache, mit der deutschen Realität leben zu müssen, doch erlaubt sein.)

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