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Sonntag, 25. April 2004
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David Nathan wurde mit dem vorletzten Transport aus Frankreich von den Deutschen nach Osten deportiert. Die amerikanischen Befreier standen 150 km vor Paris. Der junge David wurde nach Auschwitz gebracht. Bei der Selektion an der Rampe stuften die SS-Ärzte den jungen Mann als arbeitstauglich ein. So entging er der Gaskammer. Stattdessen kam er ins KZ Auschwitz III – Monowitz. Das KZ war eigens eingerichtet worden, um der IG Farbenindustrie AG für ihr nahe gelegenes Buna-Werk stetigen Nachschub an Arbeitskräften zu garantieren; die Vernichtung durch Arbeit war gewollte und alltägliche Realität.
Kurz vor der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee wurde David Nathan von den Deutschen aus Monowitz weggebracht. Er entging dem Schicksal, auf einen Todesmarsch geschickt zu werden, weil er mit einigen seiner Lagerkameraden in einem Zug Richtung Westen transportiert wurde. Im KZ Buchenwald bei Weimar fand die Fahrt ihr Ende. In Monowitz waren die Lagerinsassen, wenn sie von der Sklavenarbeit und dem strapaziösen Fußmarsch vom Buna-Werk, in ihre Baracken zurückkamen, nicht nur von der SS gefoltert worden. Sie wurden auch von den Kapos, anderen zu ihrer Überwachung abgestellten KZ-Häftlingen, „von einer Ecke der Baracke in die andere geprügelt“, wo wieder ein Kapo stand, um die Häftlinge mit dem Prügel zu malträtieren. In Buchenwald, wo die Kapos zumeist politische Häftlinge waren, nicht wie in Monowitz kriminelle, blieben die von David schon als Normalität erachteten Prügel aus. „Es war ein bisschen wie im Sanatorium, wenn man es mit Monowitz vergleicht.“ Am 11. April 1945, noch bevor die US Army in Weimar einrückte, befreiten sich die Buchenwalder KZ-Häftlinge selbst; mit Waffen, die sie aus einer Waffenfabrik, in der sie Sklavenarbeit hatten leisten müssen, in Einzelteilen unter Lebensgefahr ins Lager gebracht hatten. Das war der Moment der Befreiung für David: Der Sieg der Buchenwalder über ihre Peiniger, die sie jahrelang gefoltert und gedemütigt und ihre Lagerkameraden ermordet hatten. Selbst nach der Befreiung sah David Nathan um sich herum ehemalige Häftlinge sterben, an ihren Krankheiten oder weil sie die von der Army herbeigeschafften Nahrungsmittel für ihre ausgemergelten Körper zu schnell verzehrten.

(Gespräch mit David Nathan, Frankfurt, 26.03.2004)

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In Auschwitz wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet, in Buchenwald 56.000.

Wenn man heute durch die Gittertür mit der Aufschrift „Jedem das Seine“ geht und an der Nordseite des Ettersberges bei Weimar – wo die SS das KZ Buchenwald deshalb bauen ließ, weil hier stets ein besonders kalter Wind geht – auf die gemauerten Umrisse der Baracken herunterschaut, kann man nicht begreifen, kann man nicht nachvollziehen, was hier an Leiden verursacht und erlebt wurde. Natürlich nicht. Ein Unbehagen stellt sich ein, aber nichts, was dem Grauen in irgendeiner Form angemessen ist, angemessen sein kann. Wenn man dem Bericht eines Überlebenden von Auschwitz und Buchenwald lauscht, der von Buchenwald als einem „Sanatorium“ im Vergleich mit Monowitz spricht, wird vollends klar, dass die Dimensionen der deutschen Tat in Sprache nicht adäquat einzufangen sind: Buchenwald, mit seinen 56000 Toten, war kein Vernichtungslager, es war nicht Auschwitz.

Es bleibt die unbedingte Notwendigkeit, an das präzedenzlose Verbrechen der Deutschen zu erinnern. Und das darf man nicht den bekennenden Deutschen überlassen.

In Buchenwald ist die an Bedeutung gewinnende Strategie deutscher Schuldabwehr, den Holocaust in ein europäisches „Jahrhundert der Verbrechen“ einzuordnen, in ihrer totalitarismustheoretischen Wendung schon umgesetzt worden. Neben der Gedenkstätte für das KZ hat der Freistaat Thüringen einige Millionen Euro für eine Ausstellung ausgegeben, die an die „Opfer des sowjetischen Speziallagers Nr. 2“ – zumeist Nazi-Täter – erinnern soll.

Und wenn man Buchenwald besucht, dann kann es passieren, dass man auf das personifizierte, bierbäuchige 'gesunde Volksempfinden' trifft, das die Vorgaben aus der Gedenkstättenkonzeption kongenial umsetzt. Mit der Kamera über den Ettersberg filmend, spricht es den Text für das Heimvideo ein: „Nach der Klassikerstadt Weimar besuchen wir jetzt das KZ Buchenwald, hier wurden auch viele Tausend Deutsche ermordet.“

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ein kurzer text mit links zu den ig farben ist hier erhältlich:
http://x-berg.de/article.pl?sid=04/03/03/1622228&mode=thread

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Muss aber in Auschwitz ähnlich schlimm sein, wenn nicht schlimmer, wie ich mir habe sagen lassen. Am Eingang zu Lager I der Shop mit Blumen und Einwegkameras, Touristen, die vor der Erschießungsmauer posieren, der (teilweise?) Versuch einer Umdeutung zu einem christlichen Leidensort, nicht mal das Gedenken an den Stalinismus darf fehlen.
In ein paar Wochen fahre ich zum ersten Mal hin; mal sehen, wie ich's aushalte.

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ich war noch nicht in auschwitz. wenn ich mich aber recht erinnere, gab es da diesen streit um die aufstellung von kreuzen. der ist allerdings so ausgegangen, dass man sich darauf geeinigt hat, auf religiöse symbole vollständig zu verzichten. also auch auf den magen david. das ist natürich ein ambivalentes ergebnis.

aber die polnische umgangsweise lässt sich natürlich nicht in die strategien deutscher schuldabwehr einordnen.

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die ausstellung des fritzbauerinstituts zum frankfurter auschwitzprozess hält neben fotos von diversen nazis im popstarstyle und kuriosen kunstwerken auch eine installation bereit, die den lagertourismus mit ironie hinterfragen soll: jede besucherin kann sich mit einer polaroidkamera vor dem nachgebauten eingangstor des lagers auschwitz unter der "arbeitmachtfrei"-parole fotografieren lassen, was die leute dann total nachdenklich machen soll ... klappt meines wissens nach überhaupt nicht.
der text von rolf surmann in der neuen konkret geht leider nur in zwei nebensätzen auf die ausstellung ein, schade, eine vernünftige kritik tut not.

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