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Freitag, 23. Juli 2004
Besonderes öffentliches Interesse.
Amtsgericht Köln am 22.07.2004:

"Sehr geehrter Herr Richter Klimmer,
sehr geehrte Frau Staatsanwältin,
meine Damen und Herren!

Der 9.April 2003 bedeutete das Ende einer überlebensgroßen Saddam Statue im Herzen Bagdads. Sie wurde von einem US-amerikanischen Panzer vom Sockel gerissen. Dutzende Irakis tanzten auf dem zerstörten Symbol von Saddam Husseins Terrorherrschaft. Es waren Freudentänze. Unsere Kinder werden von diesem Ereignis in den Geschichtsbüchern lesen.
Warum ich diese Geschichte hier und heute erwähne? Ganz einfach. Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Die Frau Staatsanwältin wäre nicht hier bei uns sondern in Bagdad Staatsanwältin. Würde sie dann den Denkmalstürmer wegen Sachbeschädigung anklagen? Ich fürchte es fast. Schließlich hat sie auch mich wegen Sachbeschädigung angeklagt. Das ist der Grund, warum ich heute auf der Anklagebank sitze. Mein „Verbrechen“: Ich habe einem Neonazi ein Saddam Hussein Plakat aus den Händen gezogen und es zu boden geworfen. Ohne große Kraftanstrengung und insbesondere ohne Gewalt. Eine Sachbeschädigung hat nicht stattgefunden. Für den Neonazi war dies kein Grund, Strafanzeige zu stellen. Wahrscheinlich befürchte er, sich lächerlich zu machen. Womit ich natürlich nicht sagen will das sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage lächerlich macht.
Wie gesagt, der Neonazi hat keine Anzeige erstattet. Normalerweise ist Sachbeschädigung jedoch ein Antragsdelikt. Nur in Ausnahmefällen schreitet die Strafvefolgungsbehörde von Amts wegen ein. Und zwar dann wenn ein „besonderes öffentliches Interesse“ an der Strafverfolgung besteht. So legt es § 303 Absatz C des Strafgesetzbuches fest. Nun, die Staatsanwaltschaft bejaht in diesen meinen Fall ein besonderes öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung. Deswegen wollte sie das Verfahren nicht einstellen. Deswegen sitze ich hier und kann nicht anders als verwundert sein. Ich habe also einem Neonazi das Bild eines Massenmörders aus den Händen gezogen. Eine Sachbeschädigung hat nicht stattgefunden und weder wollte ich eine Sachbeschädigung begehen noch hätte ich eine Sachbeschädigung begehen können weil ich umgeben war von Polizisten.
Neonazi, Massenmörder, keine Sachbeschädigung. Und doch: Die Staatsanwaltschaft sieht ein besonderes öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung. Obwohl der Neonazi keine Anzeige erstattet hat. Und Saddam Hussein meines Wissens nach auch nicht. Euer Ehren, bei allem Respekt: Ich finde das ein wenig befremdlich.

Frau Staatsanwältin, bitte gestatten sie mir, das ich eine Frage an Sie richte. Am 16.3.1988 fand in der irakischen Stadt Halabja der größte Giftgasangriff seit Ende des ersten Weltkrieges statt. 5000 Menschen starben elendig. Der Giftgasangriff von Halabja zählt zu den größten Verbrechen die Saddam Hussein heute zur Last gelegt werden. Wie würden Sie, verehrte Frau Staatsanwältin, einem Überlebenden dieses Giftgasangriffes das besondere öffentliche Interesse an meiner Bestrafung erklären? Wie würden sie ihm erklären, dass in Köln jemand wegen versuchter Beschädigung eines Saddam Hussein Plakates angeklagt wird? Wie würden sie dem Überlebenden von Halabja erklären, dass Neonazis die Freilassung des Massenmörders Saddam Hussein fordern können und nicht die Neonazis vor Gericht kommen sondern ich?
Bitte gestatten sie mir einige Worte zu jener Demonstration an deren Rande die Handlungen stattfanden, die von ihnen, Frau Staatsanwältin, als Straftat bewertet werden. Und zwar als so schlimme Straftat, dass ein besonderes öffentliches Interesse an meiner Bestrafung besteht. Organisiert wurde die Demonstration vom Kampfbund deutscher Sozialisten. Die Neonazigruppe sieht in Saddam Hussein - so wörtlich - einen „völkischen, revolutionären Sozialisten“. Zu den Idolen des Kampfbundes zählt nicht nur Saddam Hussein. Es zählen dazu: NS Reichspropagandaminister Joseph Göbbels. Der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il. Und der 1991 verstorbene Michael Kühnen, der einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Kader überhaupt des militanten Neofaschismus in Deutschland war. Der Kampfbund hat auch einen Gau Rheinland. Der ist weites gehend personalidentisch mit der Kameradschaft „Walter Spangenberg“. Die Kameradschaft ist benannt nach einem SA Schläger. Der Kampfbund Gau Rheinland hat auch einen Führer: den bekennenden Nationalsozialisten Axel Reitz. Gleichzeitig auch Boss der Kameradschaft Walter Spangenberg. Reitz verkündete im Juli 1999: „Diejenigen die uns heute bekämpfen, werden einmal auf dem Marktplatz erschossen!“ Und hier schließt sich der Bogen. Axel Reitz sprach auch auf der Pro-Saddam Kundgebung im Dezember letzten Jahres. Er lobte Saddam Hussein, weil der, genau wie Adolf Hitler, nach der militärischen Niederlage nicht aus seinem Land geflohen sei. Der Kampfbund ist also eine Neonazigruppe die Mord zumindest verbal propagiert und zu schrägen historischen Analogien neigt.
Frau Staatsanwältin ich wiederhole meine Frage. Herr Richter, ich richte diese Frage nun auch an sie:
Warum stehe ich heute vor Gericht? Und nicht die Neonazis?
Stellt es etwa keine Billigung von Straftaten dar, wenn man ein Saddam Plakat durch die Straßen trägt? Wenn man die Freilassung eines Massenmörders fordert? Ist es in Deutschland legal, eine Organisation in SA Tradition zu gründen, was übrigens kein Geheimnis ist, siehe den aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes NRW? Warum, Frau Staatsanwältin haben sie diese Neonazis nicht allesamt angeklagt?
Lassen sie mich mal raten:
Daran besteht kein öffentliches Interesse.
Ist das so? Bitte missverstehen sie mich nicht: Das sind keine rhetorischen Fragen. Ich würde sie gerne beantwortet bekommen.
Um zum Ende zu kommen: Ich habe keine Sachbeschädigung begangen. Ich habe es nicht versucht und hätte es auch nicht versuchen können. Der angeblich „Geschädigte“ hat keine Anzeige erstattet und doch stehe ich vor Gericht.
Ich finde das alles nicht sehr einleuchtend.

Ich möchte ihnen daher den folgenden Vorschlag zur Güte unterbreiten:

Das Gericht möge beschließen, mich freizusprechen.
Die Kosten des Verfahrens möge der Staat übernehmen.
Denn der Staat hat, trotz allem, immer noch mehr Geld als ich.

Ich danke für ihre Aufmerksamkeit."

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